BRAIN CANDY

für Menschen, die es genau wissen wollen.

Warum betrunken schreiben?

Kreativität funktioniert 
anfangs nur emotional.
 
Gerade diese Phase wird aber gern unterschätzt.

Ernest Hemingway war Trinker. Nein, diese Eigenschaft hat ihn nicht berühmt gemacht, dennoch liegt darin eines der größten Geheimnisse seines Erfolges. Seine Erkenntnis „Schreibe betrunken, überarbeite nüchtern.“ ist  mehr als ein Bonmot, mehr als eine Ausrede für Freunde des guten Tropfens und des gepflegten Rausches. 

Sie weist - ob unwissentlich oder beabsichtigt sei mal dahin gestellt – auf tiefere neurologische Zusammenhänge bei kreativen Prozessen hin. 

Es geht darum, vom logischen Denken in die Welt des Fühlens, der Spontaneität, der Intuition hinabzusteigen. Interessant dabei ist, dass Hemingway zwischen einer schöpferischen Phase und einer analytischen Phase unterscheidet. 

Wilde Fantasien allein stellen allerdings noch keine Kreativität dar. 

Erst, wenn sie durch die Umwelt wahrgenommen werden können, aus dem Kopf in die Wirklichkeit anderer kommen und Form annehmen. Als Text, Melodie, Bild, Geruch, Geschmack oder dreidimensionales Gebilde. 

Erst dann wird aus der Idee tatsächlich etwas geschaffen.

Denn ein Hirnfurz ist zwar der Anfang, sollte aber für Unternehmen nie das Ergebnis sein. 


 

Warum betrunken schreiben?

Gebt dem Narren das Kommando!

Roger von Oech, ein Kreativitätsberater aus den USA, hat den erfolgreichen Kreativen in drei Archetypen eingeteilt: in den Narren, den Richter und den Kämpfer. Der Narr bringt unzählige, unlogische Ideen hervor. Der Richter analysiert diese Ideen, ordnet sie und entscheidet, welche weiter verfolgt werden sollen. Der Kämpfer schließlich setzt sie in die Tat um und trägt sie so in die Welt. Alle drei Archetypen braucht es zum richtigen Zeitpunkt. Und am Anfang steht immer der Narr. 
 

Hier kommt für Hemingway der Alkohol ins Spiel. Er befreit uns vom Richter, der immer unser unstrukturiertes Denken mit Einsprüchen begrenzt und blockiert. Alkohol hat die famose Eigenschaft, uns zum Fühlen zu führen. Unter seinem Einfluss fühlen wir uns zeitweise glücklich, unbesiegbar, deprimiert, verliebt, überlegen. Das Zeitgefühl schwindet. Und unsere Beurteilungsfähigkeit der Situation, in der wir uns befinden, nimmt ab – bis hin zum kompletten Kontrollverlust. Der Richter hat hier nichts mehr zu melden. Ohne die Filter des Richters benehmen wir uns wie kleine Kinder. Alkohol weist uns zwar den Weg, ist aber nicht nur wegen der Schäden, die er anrichten kann, keine Lösung. 
 

Der natürliche Rausch heißt Flow. 

Doch warum zur Ersatzdroge greifen, wenn die Natur alles so wunderbar in unserem Gehirn eingerichtet hat? Eine ganzer Arzneimittelschrank an körpereigenen Drogen steht zur Belohnung, zur Motivation und als Fahrkarte in einen Zustand bereit, den man als Flow bezeichnet: Katecholamine, die Endorphine und das Oxytocin. Wer im Flow ist, befindet sich in einem paradoxen Zustand der Konzentration ohne Anstrengung. Dabei ist man ganz auf sein Tun fokussiert und verliert das Zeitgefühl. 

Wichtig dabei: Der Anreiz zu solchen Handlungen muss aus einem selbst kommen. Weder Belohnung, zum Beispiel in Form von Lob noch Druck von außen, zum Beispiel als soziale Angst vor dem Scheitern führen in den Flow. Es geht darum spielerisch Neues auszuprobieren, neue Wege zu finden, aber auch Vorhandenes wieder zu verwerfen. Wie ein Kind, das seine Möglichkeiten im Spiel erkundet. Oder mit der Bibel ausgedrückt: „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ 

Im Prinzip ist der Flow ein Zustand des Lernens. Echtes Lernen – also nicht auswendig lernen – kann man nur, wenn etwas emotional aufgeladen ist, also Freude macht. Nur dann werden als das Ergebnis der Suche nach der perfekten Lösung oder einer neuen Erkenntnis neuroplastische Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet, die wiederum das Wachstum neuer Verknüpfungen von Nervenzellen begünstigen. 


Kontrollierter Kontrollverlust mit dem emotionalen Kick

Schopenhauer brachte es auf den Punkt: „Der Mensch kann zwar tun was er will, aber er kann nicht wollen, was er will." Sich also selbst ganz bewusst in den unterbewussten Flow zu bringen, scheint unmöglich, zumindest ist alles andere als einfach. Dabei führt häufig die pure Langeweile auf den Pfad der freien Kreativität: Uns ist so fad, dass wir einfach irgend etwas anfangen. 

So wie ich früher beim Lego spielen. Ohne zu wissen, was da eigentlich entstehen soll, klickte ich Stein auf Stein, erfreute mich an den ersten Bauwerken und begann erst dann einen wirklichen Plan zu entwickeln. Das Piratenschiff, die Ritterburg, der Panzer … mit jedem Klick verwirklichte es sich vor meinen Augen und erzeugte in mir jedes Mal ein wohliges Gefühl der tiefen Zufriedenheit. Doch eigentlich war es der Vorgang des Gestaltens und nicht das Ergebnis selbst, aus dem heraus dieses Gefühl entstand. Gespielt habe ich mit meinen Bauwerken nach deren Fertigstellung kaum. 

Und genau hier liegt das eigentliche Dilemma. Denn in der Erwachsenenwelt geht es immer darum ein konkretes Ziel zu verwirklichen, eine Angelegenheit zu erledigen, ein Problem zu lösen. Die Aufgabe wird uns von außen gestellt, unser Tun dient dem Gelderwerb oder der Anerkennung durch andere. Also wieder nichts mit „intrinsischer Motivation“! Wenn wir tun, was wir müssen, wird das Wollen aus uns heraus verdrängt. Die inneren Gefühle fehlen. Und der Richter funkt uns ständig dazwischen, um das bereits erreichte Ergebnis mit dem Ziel abzugleichen. 

 

Der alte Mann und das Mehr an Möglichkeiten

Um den  inneren Richter – erst einmal – auszuschalten und auf unbetretene Pfade jenseits vorhandener Denkmuster und Routinen zu gelangen, benötigt man die richtigen Emotionen. Das fällt auch denjenigen schwer, deren Beruf auf Kreativität beruht. Gerade weil sie auf eine unglaubliche Vielfalt von Denkmustern und Routinen zurückgreifen können, brauchen erfahrene Kreative einerseits immer neue Impulse, also Störungen der eingefahrenen Denkschemata, andererseits Wege, um in den Flow abzutauchen. 

Nach über 30 Jahren in der Werbebranche fällt mir das immer noch schwer, denn das Professionelle, also der skeptische Richter erscheint immer wieder dann, wenn man ihn nicht braucht. Und dennoch gibt es kleine Tricks, um mit Emotionen den „Narren“ zu wecken. 

Für den Flow braucht man einen Raum, in den man sich zurück- und damit unerwünschten Ablenkungen entziehen kann. Ideal wäre natürlich eine kleine Kammer, möglichst spärlich eingerichtet. Dieser Raum kann, aber muss nicht real sein. Es reicht bereits ein Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung. Zusätzlich kommt Musik ins Spiel. Musik drückt nicht nur Gefühle aus, sie löst sie auch aus. Heldenhaft, romantisch, liebevoll, herzzerreißend, beruhigend, euphorisierend – für jede Emotion gibt es das passende Stück. Musik wirkt wie eine positive Droge, ein emotionaler Weltenwandler, der das, was um uns herum passiert, ausblendet. 

Nicht von ungefähr nutzen Sternenköche und Starchirurgen Musik, um sich in andere Stimmung zu bringen. Musik vereinigt dabei die Aspekte der Inspiration mit denen der Kontemplation in idealer Weise. 

 

„Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.“
 

Die Entrückung in die eigene emotionale Innenwelt, so wie im Faust-Zitat von Goethe beschrieben, ist wesentlicher Teil des Schaffensprozesses. Aber nicht der einzige. Denn das Fühlen geht dem Schöpferischen nur voraus. Oder, wie es Hemingway ausdrückte: „Es gibt nichts zu schreiben. Alles, was Sie tun, ist, sich an eine Schreibmaschine zu setzen und zu bluten.“ Kreativität bedeutet also nicht, Phantasien zu haben, sondern sie in die Realität umzusetzen, sie zu veräußerlichen. Um schöpfen zu können, müssen die Quellen gefüllt sein. Dafür wiederum braucht es Einflüsse aus der Außenwelt und die entsprechende Offenheit, sie zu sehen und aufzunehmen. Auf die Frage, wie man die Realität anzapft, um Neues, Innovatives aus sich selbst heraus zu schaffen, gibt es wiederum sehr viele persönliche Antworten. Aber das ist Stoff genug für einen neuen Artikel. In diesem Sinne: Bleibt neugierig, werdet durstig und besoffen – aber bitte nur von  Gedanken und Gefühlen. 

„Stay hungry, stay foolish!“ (Steve Jobs).


 

So sehr wir das in unserer durchrationalisierten Welt belächeln mögen: Gerade das Intuitive, Spielerisch-Emotionale, ja manchmal auch Unsinnige kommt in unserer Maschinen- und Computer-Denkweise zu kurz.(Trunkenbold und Narr; niederländische Allegorie) 

 

 

Spielen ist Lernen. Das gleiche gilt für die Kreativität. Doch mit dem Auswendiglernen in der Schule hat das alles herzlich wenig zu tun. Denn spielerisches Lernen macht ebenso wie Ideen finden und umsetzen einen  Riesenspaß. (Kinderspiele, Peter Breugel d. Ä.)

 

 

Beim Spiel zählt Spiel, nicht das Ziel. Hinter diesem Flow-Konzept steckt ein ganzes Labor körpereigener Drogen, das uns für die Entdeckung der Welt belohnt und damit einhergehende Schmerzen bedeutungslos erscheinen lässt. Sprung oder Sturz – nur mit Mut lässt sich diese Frage beantworten. Belohnung von außen macht dieses System leider systematisch kaputt. (Seil springender Junge, Harmen ter Borch)

 

 

Herzblut darzustellen, ist für Maler ungleich schwieriger als für Komponisten. Doch erst, wenn wir in das nur Unbeschreibliche, das Emotionale hinabsteigen können, lässt sich unsere Kreativader entdecken.

 

 

Die Quellen der Inspirationen für neue Ideen sind unerschöpflich. Man braucht nur die passende innere Haltung und den Mut, sie anzuzapfen. 

Auf einem Auge blind.

Über die Folgen des Erfolges.

In Zeiten immer schnelleren Wandels in allen Bereichen sind Innovationen mehr denn je gefragt. Denn sie erst ermöglichen es, sich auf Veränderungen einzustellen und so wettbewerbsfähig zu bleiben. Ohne diese Wendigkeit, die man heute auch gern Agilität nennt, fallen bereits jetzt viele Unternehmen aus der Kurve. Und es werden immer mehr. 

Echte Innovationen sind mehr als Optimierung oder Erweiterung von Bestehendem. Sie beginnen vielmehr immer mit neuen Ideen und neuem Denken. Beides fällt gerade bislang erfolgreichen Unternehmen schwer. Denn ihre Strukturen und Prozesse sind ebenso eingefahren wie die Haltung, die Denk- und Handlungsweisen von Geschäftsführern, Management und Mitarbeitern. Da helfen auch noch so gut gemeinte Ratschläge, Methoden und Buzzwords nichts. Der Grund: Auch diese Ansätze beruhen auf der Denkweise einer nun zum Untergang verdammten Unternehmenskultur. 

Der verborgene Schatz 

In jedem Unternehmen liegt ein verborgener Schatz. Unglaubliche Potenziale, die bislang weder jemand gesehen oder genutzt hat. Und es mag  widersprüchlich klingen, aber:
Der zukünftige Erfolg eines Unternehmens wird von den Folgen seines bisherigen Erfolges verhindert. 

Der Grund dafür liegt in zwei Zuständen eines Unternehmens. Die kann es eigentlich nie gleichzeitig einnehmen kann. Denn es handelt sich dabei um Phasen, die aufeinander aufbauen und sich nur in eine Richtung entwickeln.  Hat ein Unternehmen dieses seltene Vermögen dieser zwei zeitgleichen Phasen doch, so spricht man von organisationaler Ambidextrie ("Beidhändigkeit"). 

Am Anfang steht die Idee: die explorative Phase

Am Anfang einer erfolgreichen Unternehmensgeschichte steht die kreative Idee. Sie entsteht  intuitiv und wird dann mit viel Leidenschaft und Aufwand konzeptionell umgesetzt also rationalisiert. 
Der zündende Funke kann zum Beispiel sein: 

  • eine innovative Geschäftsidee
  • eine technische Erfindung oder Entwicklung
  • eine Entdeckung aus der Natur
  • eine neue Produkt- oder Serviceidee

Man spricht in diesem Zusammenhang vom explorativen Zustand oder der kreativen Phase. Die kreative Phase ist geprägt von:

  • einer großen Vision
  • Leidenschaft
  • hohem Aufwand an Zeit und finanziellen Mitteln bei nicht absehbarem Return on Investment
  • Inspiration und Intuition
  • Unvorhersagbarkeit und Instabilität
  • Mut zum unternehmerischen Risiko
  • Chancenorientierung
  • Teamgeist
  • Orientierung an Kundenbedürfnissen

Die Geldmaschine: die exploitative Phase

Um aus einer kreativen Idee ein profitables Geschäftsmodell zu machen,  wird das anfängliche, innovative Konzept nach dem Markteintritt weiter

  • standardisiert
  • systematisiert
  • ausdifferenziert
  • skaliert
  • optimiert
  • angepasst

In diesem exploitativen Zustand bzw. der profitablen Phase schafft das Unternehmen nach und nach geeignete Strukturen (Hierarchien) und Prozesse (Routinen). Auf Basis der anfänglichen Grundidee verdient das Unternehmen Geld. 

Es entstehen Stellen, die entweder mit Spezialisten besetzt werden oder mit Managern und Führungskräften, die diese Spezialisten koordinieren, Zielvorgaben erstellen und deren Einhaltung kontrollieren.   

Die profitable Phase ist geprägt von:

  • Strategien
  • Rationalität
  • schneller Effizienzsteigerung
  • Logik, Plan- und Berechenbarkeit, Kennzahlen und Stabilität
  • solidem Management
  • Risikoorientierung
  • hierarchischen Entscheidungen
  • Orientierung an der Produktivität und der Gewinnmaximierung

Die Gefahr der Spezialisierung

Jeder Manager würde sich bei solchen Fakten entspannt zurücklehnen und sich denken: "Prima, so soll es sein." Doch gleichzeitig schleichen sich dadurch zunächst unmerkbar gefährliche negative Aspekte ein, und zwar durch ...

  • Verhinderung des notwendigen „Blicks über den Tellerrand“: „Fachidiotentum“ durch hohe Spezialisierung der einzelnen  Mitarbeiter und daraus resultierende „Betriebsblindheit“ – auch auf höheren Hierarchieebenen
  • Entfremdung der Mitarbeiter von einander, durch Zunahme der Mitarbeiterzahlen, Spezialisierung und durch Karrierestreben
  • Zunehmende Zielkonkflikte zwischen persönlichen Zielen (Karriere) und Unternehmenszielen
  • Maximal additive Zusammenarbeit über die einzelne Stelle hinaus in Arbeitsgruppen oder Abteilungen: keine echten Teams
  • Entfernung von Kundenbedürfnissen durch Spezialisierung/Arbeitsteilung und Outsourcing von Teilaspekten des Kundenkontaktes (z. B. bei Vertrieb, Service, Marktforschung …)

Kein "Weiter so!" und kein Zurück.

Verändern sich die äußeren Marktumstände, kann dies ein auf maximale  Effizienz getrimmtes Unternehmen ins Schleudern bringen. Denn alle Voraussetzungen, um wieder in eine kreative Phase zu kommen und so neue Ideen zu entwickeln, wurden dem Gewinnstreben geopfert. Insbesondere die Unternehmenskultur eines Start-ups lässt sich nicht per Anweisung herstellen, auch wenn dies teure Unternehmensberater gerne weismachen wollen. Schon gar nicht bei Mitarbeitern, die Stellen mit einem hohen Spezialisierungsgrad besetzen und deren Mindset entsprechend auf Karriere und nicht auf eine gemeinsame Vision ausgerichtet ist. Doch es gibt durchaus erfolgversprechende Ansätze und Strategien, die genau die menschlichen Knackpunkte in der Umsetzung beachten. Aber das ist wieder ein anderes Kapitel.